Persönliche Schilderung eines jungen Kameraden

Wir möchten doch nur helfen…

Bremen – Gaffer und Gewalt gegen Einsatzkräfte beschäftigen die aktiven Feuerwehrleute aktuell enorm. Niklas Axer von der FF Saldenburg (BY) hat dazu für das Feuerwehr-Magazin folgende Zeilen verfasst. 

Manche Einsätze bleiben den Feuerwehrleuten jahrelang in Erinnerung. Foto: Jann

Als Feuerwehrmann ist man es gewohnt, sich in seiner Ausbildung auf Gefahren am Einsatzort vorzubereiten. Man lernt etwas über giftige Gase bei Bränden, über das Verhalten auf Straßen bei Verkehrsunfällen. Man wird in all den Risiken ausgebildet, die einen „draußen“ erwarten können. Doch wir leben momentan in einer Zeit, in der wir die größte Gefahr unterschätzen: unsere Mitmenschen. Immer öfter müssen wir Berichte über Gewalttaten gegen Einsatzkräfte lesen, gegen Angehörige von Hilfs­organisationen. Menschen, die es sich zur Auf­gabe gemacht haben, anderen zu helfen. Egal, ob Feuerwehr, Rettungsdienst oder THW. Egal, ob bezahlt oder unbezahlt.

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Aber möchte man zu einem Einsatz ausrücken, bei dem man Angst haben muss, von anderen Personen attackiert zu werden? Und das nicht nur verbal, sondern massiv handgreiflich und mit Waffengewalt? Wie kann man so wenig Respekt haben vor Einsatzkräften, die es sich zur Lebensaufgabe gemacht haben, hilfsbedürftige Menschen zu unterstützen?

Nach vielen Gedanken über dieses Thema bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass der Auslöser für dieses Problem Unwissenheit sein muss. Unwissenheit darüber, was Feuerwehrleute eigentlich leisten. Welchen Belastungen wir uns aussetzen, sowohl körperlich als auch psychisch.

Die Anforderungen an uns sind vielseitig, stetig im Wandel und teilweise höchst anspruchsvoll. Das bedeutet für uns eine ständige Fortbildungspflicht, um im Einsatz auch mit neuen Herausforderungen effektiv umgehen zu können. Und das bei uns Freiwilligen in unserer Freizeit, neben dem eigentlichen Beruf. Ausbildung und Einsätze kann man in Zeit messen, oft sind es hunderte Stunden pro Jahr. Aber wer misst eigentlich die Bilder in unseren Köpfen und die Belastungen, die wir nach einem Einsatz mit nach Hause nehmen?

Coole Aktionen gegen Gaffer, die jeder Feuerwehrmann gesehen haben sollte

Jahrelang traumatische Eindrücke zu verarbeiten

Manche Kameraden haben jahrelang traumatische Eindrücke zu verarbeiten, die ihre Lebensweisen dauerhaft geprägt haben. Doch genau darüber sind sich die res­pekt­losen Menschen nicht im Klaren. Sie haben nicht die Dinge gesehen, die wir an Einsatzstellen gesehen haben. Welche Verzweiflung in den Gesichtern einer Familie sichtbar ist, deren Haus in Brand steht. Wenn der Notarzt die Reanimation abbricht und der Ehemann der Pa­tientin weinend zusammenbricht. All dies sind Momente, die jene Personen nicht ken­nen, aber die wir Einsatzkräfte ein Le­ben lang im Kopf haben. Ich kann mich beispielsweise noch genau an meinen ers­ten Verkehrsunfall mit einer Toten erinnern.

Ich sitze am Frühstückstisch, da höre ich im Nachbardorf die Sirene aufheulen. Kurzer Blick in den Flur: Schlüssel, Handy, Schuhe. Für den Fall, dass wir auch alarmiert werden, liegt alles bereit. Da heult auch schon unsere Sirene. Ich parke am Gerätehaus und laufe in unsere Fahrzeughalle. Ein Kamerad sitzt bereits in einem unserer Fahrzeuge und nimmt Kontakt zur Leitstelle auf, um den Alarm zu bestätigen. Ich greife mir das Alarmfax und überfliege den Text: Verkehrsunfall mit eingeklemmter Person auf der Bundesstraße.

Ich ziehe mir meine Schutzkleidung an und steige in unser Löschgruppenfahrzeug. Eingeklemmte Person, das kann alles sein. Vom einfachen Blechschaden bis hin zum völlig deformierten Unfallwrack, das wir mit dem hydraulischen Gerät zerschneiden müssen. Mittlerweile sind wir in der Kabine sieben Mann. Wir können ausrücken.

Während die Box mit den Einweghandschuhen rumgereicht wird, machen wir die erste Einteilung der Mannschaft. Über Funk hören wir, wie unser Kreisbrandmeister die Leitstelle kontaktiert. „Zwei beteiligte Pkw, mehrere eingeklemmte Personen“, lautet seine erste Sichtung. Heißt so viel wie: Nachalarmieren, und zwar einiges. Mehr Feuerwehr, mehr Rettungsdienst, mehr Notärzte.

Die Mutter des Kindes ist “ex”

Ist wohl doch nicht nur ein Blechschaden. Als unser Fahrzeug am Einsatzort stillsteht, mache ich mich mit Notfallrucksack und Decke ausgerüstet auf den Weg. Wir sind darin geschult, den Rettungsdienst zu unterstützen und uns mit um Patienten zu kümmern. Unsere Hauptaufgabe bleibt zwar die technische Rettung, jedoch treffen wir meist mit einer größeren Mannschaftsstärke ein und können so den Kollegen bei einer höheren Anzahl von Verletzten unter die Arme greifen.

Ich überfliege das Unfallszenario. Da steht ein großer Geländewagen, erkennbar vom Unfall mitgenommen, jedoch ohne eingeschlossene Personen. Davor ein völlig demolierter Kleinwagen. Vorne zwei eingeklemmte Erwachsene, hinten ein kleiner Junge. Nach kurzer Rücksprache mit dem Rettungsassistenten kümmere ich mich um das Kind. In diesen kurz ausgetauschten Sätzen habe ich erfahren, dass die Beifahrerin, die Mutter des Kindes, „ex“ ist.

Der Fahrer, vermutlich der Vater, ist lebensgefährlich verletzt. Der Junge auf der Rückbank, der mich noch gar nicht wahrnimmt, hat gerade seine Mutter sterben sehen. Ausblenden. So ein Gedanke hat hier und jetzt keinen Platz. Die Tür geht nicht auf, deshalb steige ich über das gegenüberliegende Fenster auf die Rückbank. Jetzt heißt es beruhigen und erstversorgen.

Der schwer verletzte Fahrer des Kleinwagens ist fast befreit. Symbolfoto: Hegemann

In der nächsten Stunde wird der Kleinwagen komplett zerlegt. Nachdem der kleine Junge über das Seitenfenster gerettet ist, haben meine Kameraden Öffnungen für eine schonende Rettung des Fahrers geschaffen. So konnten wir ihn befreien und an den Rettungshubschrauber übergeben. Alle anderen Patienten wurden in der Zwischenzeit schon von Rettungswagen in die umliegenden Kliniken verteilt.

Ab jetzt heißt es warten. Bis der von der Polizei bestellte Gutachter seine Arbeit vor Ort beendet hat, dürfen wir nichts verändern. Den Nachmittag werden wir damit verbringen, dem Gutachter bei seiner Arbeit zuzusehen, den eingetroffenen Abschleppdienst zu unterstützen und dem Bestatter behilflich zu sein. Und alle Spuren des Unfalls verschwinden zu lassen. Als wir unsere Arbeit erledigt haben, erinnert fast nichts mehr an das, was sich heute an diesem Ort ereignet hat.

Stolz auf unsere Leistung: Vater gerettet

Für uns Einsatzkräfte jedoch wird es ab jetzt die Kurve sein, in der wir eine tote Mutter aus einem Unfallwrack gezogen haben. Und daran werden wir erinnert, jedes Mal, wenn wir diese Strecke fahren werden. Ich habe heute meinen ersten Toten gesehen, aber das habe ich bis jetzt noch gar nicht realisiert. Das wird alles heute Abend kommen, wenn ich im Bett liege und einschlafen möchte. Dann werden die Bilder kommen, die Geräusche, ja selbst die Gerüche von heute. Alles, was jetzt hilft, ist mit den Kameraden über das Erlebte zu reden. Zu merken, dass man die Eindrücke nicht alleine verarbeiten muss.

Doch bei all der Belastung bin ich stolz, keine Sekunde gezögert zu haben, als die Sirene ging. Dank uns ist der Vater noch am Leben, ohne uns wäre er tot. Bei dem Gedanken daran, dass ich ein Leben retten konnte, erfüllt mich ein Gefühl, das sich kaum beschreiben lässt. Dieses Gefühl ist der Grund, warum ich im Ehrenamt bin. Ich bin mir sicher, wenn die gegenüber Einsatzkräften respektlosen Menschen in ihrem Leben nur jemals einen Tag wie diesen erlebt und dieses Gefühl verspürt hätten, dann würden sie nicht pöbeln, beleidigen oder sogar schlagen. Sondern helfen.

Diesen Text haben wir in der August-Ausgabe 2017 des Feuerwehr-Magazins erstmals veröffentlicht. Uns erreichten zahlreiche Bitten, den Text auch Online zur Verfügung zu stellen, weil er die Situation so gut trifft. In der Kolumne äußern sich übrigens Monat für Monat aktive Feuerwehrleute mit den unterschiedlichsten Diensträngen und Funktionen zu aktuellen Fragen in Brand-, Katastrophenschutz und dem Rettungswesen. Dabei beziehen sie ganz persönlich Stellung.

Niklas Axer, FF Saldenburg

 

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