Katastrophale Zustände bei der Berliner Feuerwehr

#BerlinBrennt: Überstunden werden ausgezahlt

Berlin – Unter dem Motto #BerlinBrennt demonstrierten Berliner Feuerwehrleute Anfang des Jahres für bessere Arbeitsbedingungen und eine angemessene Bezahlung. Die rot-rot-grüne Landesregierung teilte nun mit: Angesammelte Überstunden werden ausgezahlt.

Pünktlich zum Amtsantritt von Karsten Homrighausen als neuer Landesbranddirektor ließ die Berliner SPD-Fraktion verkünden, dass die Forderungen der Berufsfeuerwehrleute zum Teil umgesetzt würden. Wie der Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB24) berichtete, plant die Landesregierung 7 Millionen Euro für die Auszahlung von Überstunden zur Verfügung zu stellen. Bereits in Kraft getreten sei die Reduzierung der Wochenarbeitszeit von 48 auf 44 Stunden.

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Dagegen sieht der Landesfeuerwehrverband Berlin immer noch dringenden Handlungsbedarf bei der veralteten Technik. Der Feuerwehr in der Bundeshauptstadt drohe die Handlungsunfähigkeit, wenn nicht schleunigst investiert werde, heißt es. Konkret fordert der Verband daher mindestens 100 Millionen Euro zusätzlich für neue Löschfahrzeuge und ein Sonderförderprogramm. Um weiterhin auf die Probleme aufmerksam zu machen, startete der LFV eine Petition. In Anspielung auf die Protestwelle vom Frühjahr heißt es: Berlin ist bereits abgebrannt.

Rettungswagen sind die Feuerwehrfahrzeuge in Berlin, die am häufigsten im Stadtbild wahrgenommen werden. Und die machen optischen einen brauchbaren Eindruck. Das Durchschnittsalter der Löschfahrzeuge hingegen liegt bei 15 Jahren. Hier muss dringend nachgebessert werden, fordert der Landesfeuerwehrverband Berlin. Foto: Hegemann

„Das Durchschnittsalter aller Löschhilfeleistungsfahrzeuge (LHF) in Berlin lag am 31. Dezember 2017 bereits bei 15 Jahren“, berichtet Dr.-Ing. Matthias Münch vom Landesfeuerwehrverband. Das heißt, ein großer Fahrzeuganteil davon ist noch viel älter. Angesichts der intensiven Nutzung in einer Millionenmetropole sind die Fahrzeuge entsprechend verschlissen. „Die Ausfallzahlen steigen, die Ausfallzeiten werden länger, zumal es inzwischen schon Schwierigkeiten mit der Ersatzteilbeschaffung gibt“, so Dr.-Ing. Münch.

Inzwischen würden schon Fahrzeuge von den Freiwilligen Feuerwehren abgezogen, um die Lücken bei der Berufsfeuerwehr zu schließen. „Zieht man das Handtuch in eine Ecke, fehlt es an anderer Stelle“, verdeutlicht Dr.-Ing. Münch das Problem.

Politik verschließt die Augen

Die Politik und der Senat würden die Augen vor den Problemen verschließen und abwiegeln. Innensenator Andreas Geisel kündigte beispielsweise an, dass in diesem und dem nächsten Jahr fast 100 neue Feuerwehrfahrzeuge angeschafft würden. 17,4 Millionen Euro sind dafür eingeplant. „Nach den Sparjahren sei die Trendwende bei der Feuerwehr eingeleitet“, entgegnete der Sprecher des Innensenators und wies die Kritik des Verbandes zurück. „Die Feuerwehr ist und bleibt handlungsfähig.“ Unter den 100 Neufahrzeugen befinden sich allerdings nur zwei der dringend benötigten Löschfahrzeuge.

“Es braucht viel mehr Neufahrzeuge und bis die tatsächlich für den Einsatzdienst verfügbar sind, braucht es mittlerweile zusätzlich geeignete Löschfahrzeuge für den Zwischenzeitraum. Dass vergisst die Politik. Der Zeitraum für einfache Lösungen ist leider schon vorbei”, so Dr.-Ing. Münch.

Um auf die katastrophalen Zustände bei der Berliner Feuerwehr hinzuweisen, hat der Landesfeuerwehrverband eine Online-Petition gestartet. Um sich daran zu beteiligen, muss man nicht in Berlin wohnen. „Wir würden uns über eine rege Teilnahme freuen“, so Dr.-Ing. Münch gegenüber feuerwehrmagazin.de.

Die Vorgeschichte

Was bisher in Berlin geschah: #BerlinBrennt. Diese Meldung ging Anfang des Jahres durch alle Medien. Am Montag, den 26. März, errichteten Berliner Feuerwehrleute eine Mahnwache vor dem Berliner Rathaus. Und sie hielten ihren Protest über 5 Wochen durch. Bei der Aktion handelte es sich um eine Demonstration der Kräfte der Berliner Feuerwehr, die auf die allgemein schlechten Zustände bei der Feuerwehr in der Hauptstadt, aber auch in ganz Deutschland aufmerksam machen möchten. Dabei stand eine Feuertonne symbolisch für die kritische Situation, unter der die Berliner Kollegen arbeiten müssen.

Aus der Mahnwache wird sich aber noch mehr entwickeln, dass kündigten die Initiatoren auf der Facebookseite der Kampagne im Mai an. So sorgte beispielsweise das Rap-Video von Feuerwehrmann Christian Köller für Furore im Netz.

Zur Mahnwache am Roten Rathaus hatten wir für Feuerwehrmagazin.de mit dem Verdi-Betriebsgruppensprecher und Initiator der Demonstration Stefan Ehricht gesprochen.

Feuerwehrmagazin.de: Herr Ehricht, die Aktion #Berlinbrennt ist mittlerweile ja wirklich im ganzen Land bekannt. Erzählen Sie mal, wie sind Sie auf diese Idee gekommen und was war der Auslöser für die Demonstration?

Stefan Ehricht: Angefangen hat das alles ja eher als Spaß. In unserer gemeinsamen WhatsApp-Gruppe ging die Diskussion hin und her, wie schlimm die Zustände in der Feuerwehr sind. Da hab ich dann irgendwann spaßeshalber reingeschrieben, dass sie sich mit einer Tonne vor das Rote Rathaus stellen sollen, da könnten sie dann „lautstark meckern“.

Der Verdi Betriebsgruppensprecher Stefan Ehricht neben der #BerlinBrennt Tonne
Der Verdi-Betriebsgruppensprecher Stefan Ehricht neben der #BerlinBrennt-Tonne. Foto: www.berlinbrennt.de

FM.de: Und wie kamen Sie auf den Slogan Berlin brennt?

Ehricht: Der hat sich dann nach kurzer Zeit und vielen Ideen die hin und her geschrieben wurden so ergeben. 2,5 Stunden später hatte einer den Spruch in eine Tonne reingesschweißt. Ich habe anfangs gar nicht geglaubt, dass das gerade wirklich passiert.

FM.de: Wie haben Sie die Demonstration organisiert?

Ehricht: Erstmal mussten wir die Kommunikation auf Telegramme verlegen weil das für WhatsApp einfach zu viel wurde. Ich habe dann Verdi kontaktiert und wir haben einen „Probelauf“ der Demo gemacht. Die hatte allerdings nur ungefähr fünf Teilnehmer oder so. Dann haben wir das Ganze in den sozialen Medien kommuniziert und jetzt sind gefühlt alle dabei. Ich hätte ehrlich gesagt nicht gedacht, dass das so groß wird und dass wir überhaupt vor dem Roten Rathaus demonstrieren dürfen.

FM.de: Wie haben Sie es hinbekommen, dass wirklich 24 Stunden lang jemand bei der Mahnwache ist?

Ehricht: Ich habe eine Liste gemacht, da konnte man sich dann eintragen. Nach 5 Tagen war bereits die Liste für die erste Woche voll. In den ersten zwei Wochen haben über 190 Kollegen Mahnwache gehalten. Und für die dritte Woche habe ich bereits 96 Eintragungen. Mittlerweile sind nicht nur Kollegen der Berufsfeuerwehr dabei, sondern auch viele von den Freiwilligen Feuerwehren und zwischendurch sogar ein paar Polizisten.

FM.de: Die Demonstration wird also noch länger gehen?

Ehricht: Ich habe den Antrag für die dritte Woche gestellt und denke, dass die auch genehmigt werden wird.

FM.de: Ist denn die Einsatzbereitschaft durch die Mahnwache beeinträchtigt?

Ehricht: Überhaupt nicht. Als Feuerwehrleute sind wir ja Beamte, daher dürfen wir nicht streiken. Wir machen das alles in unserer Freizeit und mittlerweile auch mit Hilfe der Freiwilligen Feuerwehr.

FM.de: Was macht die Situation bei der Berliner Feuerwehr denn so prekär?

Ehricht: Als Feuerwehrwehrleute sind wir ja sehr belastbar, aber irgendwann können auch wir nicht mehr. Wir sind bislang im ersten Gang als Titanic gegen den Eisberg gefahren, jetzt haben wir den fünften Gang eingelegt und prallen mit voller Wucht dagegen. Zu wenige Einsatzkräfte, zu wenig Nachwuchs, zu altes oder zu wenig Material und die schlechte Bezahlung sind da nur ein paar Beispiele für die Probleme, die wir haben. Die Politik hat an allem so lange gespart, bis es sprichwörtlich quietscht – und jetzt quietscht es halt gewaltig.

FM.de: Gibt es denn bereits Reaktionen seitens der Politik?

Ehricht: Bisher haben uns alle wichtigen im Bundestag vertretenen Parteien im Bundestag besucht und mit uns gesprochen. Außerdem kamen sowohl der Innensenator Andreas Geisel als auch der Landesbranddirektor Vertreter Karsten Göwecke vorbei, um sich mit uns zu unterhalten. Die Politiker sind zwar ein Mitverursacher dieser Situation, aber am Ende sitzen wir ja alle auf derselben Titanic.

Verdi Betriebsgruppensprecher Stefan Ehricht (links) im Gespräch mit dem Landesbranddirektor Vertreter Karsten Göwecke (mitte) und Berlins Innensenator Andreas Geisel (rechts)
Verdi Betriebsgruppensprecher Stefan Ehricht (links) im Gespräch mit dem Landesbranddirektor Vertreter Karsten Göwecke (mitte) und Berlins Innensenator Andreas Geisel (rechts). Foto: www.berlinbrennt.de

FM.de: Haben Sie das Gefühl, dass die Berliner durch die Demonstration stärker zusammenhalten?

Ehricht: Absolut. Wir haben einen stärkeren Zusammenhalt als jemals zuvor. Wo sich die einzelnen Wachen früher unter sich nach Feierabend vielleicht noch am Stammtisch in einer Wirtschaft getroffen haben, treffen sich heute alle zusammen am „Stammtisch“ an der Tonne.

FM.de: Würden Sie auch anderen Feuerwehren in anderen Städten raten, in dieser Form aktiv zu werden?

Ehricht: Wir haben ja mit #BerlinBrennt angefangen. Wer sagt denn, dass nicht auch Hamburg oder andere Städte „brennen“ können? Die Ordnungskräfte wurden doch überall in Deutschland in den letzten Jahren vernachlässigt. Man muss allerdings durchhalten können. Nur eine Tonne aufzustellen, reicht da lange nicht. Man braucht eine Menge Unterstützung. Ich habe hier in Berlin jetzt mittlerweile alleine ein 114 köpfiges Social Media-Team. Die Organisation muss bedacht und geplant werden, das ist alleine nicht zu schaffen. Ich bin den Kollegen, aber auch den Bürgern sehr dankbar, die uns mit Verpflegung versorgen und Spenden geben. Alles, was an Spenden eingenommen wird, kommt übrigens eins zu eins der Nachwuchsförderung zu Gute.

#BerlinBrennt Tonne bei Nacht
Die #BerlinBrennt Tonne ist bereits seit 2 Wochen 24 Stunden am Tag im Einsatz. Foto: www.berlinbrennt.de

Die Gewerkschaften fordern konkret: “eine Absenkung der Wochenarbeitszeit, die Auszahlung der geleisteten Überstunden, eine Verbesserung der Beförderungssituation sowie eine bessere Eingruppierung der Tarifbeschäftigten”.

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