Die 15 wichtigsten Erkenntnisse aus dem Einsatz nach dem Starkregen

Experten einig: Katastrophenschutz braucht dringend ein Update

Berlin/Münster – Zur Bewältigung von Katastrophen wie nach dem Starkregen in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen im Juli 2021 müssen die organisatorischen Strukturen in Deutschland deutlich modifiziert werden. Auch muss das Führungssystem und dessen Ausstattung aktualisiert und internationalen Standards angepasst werden. Das sind zwei der ersten Ergebnisse der mehr als 60-köpfigen Expertenkommission „Starkregen“. Das Gremium arbeitet derzeit im Auftrag der Vereinigung zur Förderung des Deutschen Brandschutzes (vfdb) und des Deutschen Feuerwehrverbandes (DFV) den Gesamteinsatzes im Sommer auf. In einer ersten Zusammenfassung haben die Kommissionsmitglieder 15 wichtige Punkte als Erkenntnisse aus dem Einsatzverlauf aufgelistet.

Solche extrem geländefähigen und robusten Fahrzeuge wie diesen MAN der BF Bonn gibt es inzwischen viel zu wenige in Deutschland. Foto: Feuerwehr Bad Neuenahr-Ahrweiler

„Die Problematik zieht sich, wie die ersten Untersuchungen ergeben, quer durch alle Organisationen und über alle administrativen Ebenen hinweg“, sagt Dr. Ulrich Cimolino, Vorsitzender der Kommission und Branddirektor in Düsseldorf. „Eine detaillierte Umfrage unter allen Einsatzkräften gibt uns schon jetzt erste wertvolle Erkenntnisse.“ Fast 2.500 Helferinnen und Helfer haben an der Erhebung teilgenommen, mit deren Hilfe Schwachstellen analysiert und Verbesserungspotenzial identifiziert werden soll. „Eine weitere wichtige Erkenntnis: 90 Prozent der Einsatzkräfte kommen aus dem Ehrenamt“, berichtet Cimolino. „Obwohl Ausmaß und Komplexität solcher Lage nicht zum ersten Mal aufgetreten sind, waren es für die einzelnen Einsatzkräfte meistens unbekannte Ereignisse, die sie nur sehr selten – oder nie – erleben“, so Cimolino weiter. „Auch deshalb sind solche Ereignisse auch nur selten Gegenstand von Einsatzplanung und Ausbildung. Das aber hat sich jetzt als Fehler erwiesen.“

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Wer schon Erfahrungen mit ähnlichen Katastrophen hatte, bemängelte in der Befragung, dass es seit dem letzten Ereignis für die Einsatzkräfte keine durchgängige Verbesserung der Schwachstellen gegeben habe. Als vermutete Gründe wurden mangelnde Mittel und mangelndes Interesse der Politik angegeben. „Das Interesse ist nur temporär vorhanden und nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwunden“, lautete ein Argument.

Schlechte Noten für die Kommunikationsmittel

Schlechte Noten bekamen bei den Einsatzkräften auch die Kommunikationsmittel und -möglichkeiten. Eine eher negative Rolle spielte dabei auch das oft nach kurzer Zeit und dann mitunter für viele Stunden oder mehrere Tage ausgefallene Digitalfunknetz der Behörden und Organisationen mit Sicherheitsaufgaben (BOS). Ebenso wurden eine mangelnde Geländegängigkeit mit nicht ausreichender Wasser-Durchfahrtsfähigkeit sowie teils unzureichende Motorisierung von Einsatzfahrzeugen auch des Katastrophenschutzes bemängelt.

Dazu kommen immer mehr Probleme mit fehlender Wartungsfreundlichkeit und mangelnder Robustheit insbesondere moderner Fahrgestelle. Kritik gibt es auch am Einsatz der Hubschrauber. Dabei geht es unter anderem um die Verfügbarkeit, Leistungs- und Multirollenfähigkeit. Sowohl bei den Hubschraubern als auch bei den im Schnitt gut bewährten Drohnen müsse es nach Einschätzung der Aktiven Verbesserungen geben.

Neben den zahlreichen Schwachstellen bei dem Einsatz werden aber auch positive Aspekte genannt. Dazu gehört unter anderem die unkomplizierte und vertrauensvolle Zusammenarbeit mit den unterschiedlichsten Hilfsorganisationen und vor allem mit den vielen privaten Helfern und Anwohnern. Allerdings müsse die Einbindung privater Helfer und Firmen noch optimiert werden.

Politische Unterstützung nicht nur nach Schadensereignissen

„Wir werden die Ergebnisse und Erfahrungen in den kommenden Wochen und Monaten sorgfältig auswerten und die detaillierten Ergebnisse im kommenden Jahr präsentieren“, sagt vfdb-Präsident Dirk Aschenbrenner. „Deutlich wird schon jetzt, dass viele Erkenntnisse nicht neu sind. Die Lehren der Vergangenheit wurden nur nicht oder zu wenig umgesetzt.“ Für ein echtes „Lessons Learnt“ gelte es, tragfähige Strukturen zu bilden und zu leben“, so Aschenbrenner. DFV-Präsident Karl-Heinz Banse sieht in der Arbeit der Expertenkommission eine wertvolle Unterstützung und Entscheidungsgrundlage auch für Entscheidungen in der Politik. „Wir haben die Fachleute in unseren Reihen, wir haben das Know-how – leider fehlt neben den technischen Mitteln häufig auch die politische Unterstützung. Sie darf nicht immer erst kommen, wenn etwas passiert ist“, so Banse.

Hier die 15 wichtigsten Erkenntnisse der Befragung

1. 90 Prozent der Einsatzkräfte kamen aus dem Ehrenamt Das unterstreicht die Bedeutung ehrenamtlicher Strukturen für eine schnelle, flächendeckende und tief reichende Gefahrenabwehr in Deutschland und stellt die Bedeutung der Ehrenamtsförderung deutlich heraus.

2. Das Führungssystem und die Führungsausstattung (insbesondere oberhalb der Ebene „Zug“) im operativen Bereich sind zu aktualisieren und internationalen Standards anzupassen.

3. Ein Führungssystem im administrativen Bereich ist bis auf die Gemeindeebene zu etablieren (vergleiche Nordrhein-Westfalen).

4. Führung verlangt auf allen Ebenen ausreichend viel gut ausgebildetes und trainiertes Personal (auch im Hinblick auf Schichtfähigkeit).

Alle Führungskräfte müssen für die Bewältigung von länger andauernden Großschadenslagen auch entsprechend ausgebildet werden. Und für die Bewältigung solcher Lagen bedarf es viele Führungskräfte. Foto: KBI Aschaffenburg

5. Die Einbindung und Steuerung von Spontanhelfern als auch privater Ressourcen ist zu realisieren und im Vorfeld zu planen und zu üben.

6. Die technische Kommunikation ist zu härten und es sind Redundanzen zu schaffen. Sie ist dem Kommunikationsbedarf in Quantität (zum Beispiel Datenvolumen) und Qualität (wie Messengerdienste) anzupassen.

7. Die Medienarbeit ist – insbesondere für Feuerwehren und Hilfsorganisationen – zu optimieren.

8. Die Fahrzeug- und Gerätetechnik ist zu erwartenden Schadenslagen (Überflutungen aber auch Waldbrand) anzupassen, insbesondere in puncto:

    • Bessere Robustheit
    • Bessere Geländegängigkeit, -fähigkeit sowie Wat- bzw. Wasserdurchfahrtsfähigkeit
    • Bessere und mehr Boote und Wasserrettungskomponenten
    • Schmutzwasserpumpen
    • Geeignetere und mehr Persönliche Schutzausrüstung

9. Die Versorgungs- und Durchhaltefähigkeit ist zu stärken. Und die Konzepte zur Etablierung entsprechender Strukturen im Einsatzraum sind anzupassen.

10. Der Einsatz von Luftfahrzeugen (inklusive Drohnen) ist einheitlich zu regeln und auszubilden. Es sind leistungsfähige Zivilschutzhubschrauber in ausreichender Anzahl zu beschaffen und vorzuhalten. Die Kostenfrage ist aufgrund häufig organisations- und bundeslandübergreifender Einsätze einheitlich zu klären.

Ein Transporthubschrauber CH-53 der Bundesweh lädt Sandsäcke ab, während des Dammbaus im Rahmen des Hochwassereinsatzes 2021 in Erftstadt. Daneben werden aber auch zivile Hubschrauber benötigt, di bi solchn Lagen problemlos eingesetzt werden können. Foto: Bundeswehr (Bild: ©2021 Bundeswehr/Sandra Süßmuth)

11. Die Ausbildung in der Abwehr dynamischer Lagen ist insbesondere für Führungskräfte zu verbessern. Einsatzkräfte sind intensiver auf spezifische Lagen (Wassergefahren, Waldbrand, …) zu trainieren.

12. Der Umgang mit Spenden muss konzeptionell geregelt und frühzeitig kommuniziert werden.

13. Die Brandschutz-/Rettungsdienstbedarfsplanung ist auf eine allgemeine Gefahrenabwehrbedarfsplanung zu erweitern.

14. Tragfähige Strukturen für ein echtes „Lessons Learnt“ sind zu bilden und zu leben.

15. Erkannte Forschungs- und Innovationsbedarfe sind in zukünftigen Förderprogrammen zu berücksichtigen.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Hahahahaha. Sind schon genug EU subventioniert

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  2. Da viele Landwirte sowieso bei der Freiwilligen Feuerwehr mitmachen, und ihre Fahrzeuge im täglichen Einsatz beherrschen, sollte man ihre Fahrzeuge als Hintergrund Fuhrpark mitfinanzieren, und bei Bedarf abrufen.

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  3. Die Ergebnisse sind ja auch nicht neu. Bereits während der Hochwasser und Waldbrand Ereignisse im Osten waren viele dieser Punkte schon identifiziert worden. Passiert ist leider nichts und so wird es wieder kommen das die Landkreise jeder für sich selbst organisiert und aufrüstet. Die Koordination und Zusammenarbeit zwischen FW, THW und Rettungsdiensten funktioniert auf Kreisebene meist reibungslos aber sobald es “Überörtlich” geht, bricht das System zusammen.

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  4. Wenn unsere Väter mit dem primitiven 9 Tonnen LF liegen blieben reinigte man den Kraftstofffilter, und fuhr nach 15 Minuten weiter.
    Wenn wir heute mit dem Coolen 18 !! Tonner LF liegen bleiben rufen wir per funktionierendem? Smartphone ?! (oder Digitalfunk!!??), über funktionierendes ?Internet ?! den Service Partner, wenn der Vertrag und alle Formulare passen, versucht der Techniker mit dem Tablet PC den Schaden zu finden und bestellt per Express z.B. einen neuen Sitzkontakt für den Fahrersitz (ohne den ein KFZ heute unmöglich bewegt werden kann!!!) .
    Das geht in normalen Zeiten über Nacht, im K-Fall ????

    Finde den Fehler!!!

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  5. Leider versagt, wie Meistens, die Politik. Es wird viel geredet, die Aufgaben werden immer Anderen zugeteilt (da sind wir nicht zuständig), es gibt Wichtigeres. Vor über zwanzig Jahren gab es Fördergelder für den Abbau der Sirenen. Heute gibt es Fördergelder für den Aufbau. Natürlich kann man die Systeme nicht miteinander vergleichen, jedoch ist es Irrsinn erst für den Abbau Geld bereitzustellen und jetzt für den Aufbau. Hier erkennt man die Weitsichtigkeit der Politik. Und die beginn auf den Landratsämtern. Was sich nach oben nicht gut verkaufen lässt, ist erstmal nicht wichtig. Erst seit wenigen Jahren kommt bei der Feuerwehr wieder mehr Geld an, jedoch viel zu wenig um auf die Probleme die Experten voraussagen entsprechend reagieren zu können. Da wird dann auf Hilfe von der zivilen Bevölkerung gesetzt. Als Feuerwehrmann bist Du da ziemlich auf das Improvisieren angewiesen- leider. Fragt mal Eure Großeltern wie das schon vor 50 Jahren in der Politik war. Da denkt Ihr, Ihr seit in einer Zeitschleife.

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  6. Jeder der hier seine Meinung und Vorsetllung zum besten gibt hat etwas mit der Materie zu tun. Viele Menschen in der Bevölkerung “juckt” das nicht, andere widerum sind der Meinung “mach mal” und danach wird zum Anwalt gerannt und Anzeige erstattet.
    Solange diese Mentalität besteht können wir uns noch so abstrampeln, wir werden nichts erreichen.
    Was die Bewältigung von Extremlagen angeht- Wir müssen das Rad nicht neu erfinden – siehe Digitalfunk. Einfach mal die alten Kat-Schutz Unterlagen rauskramen. Dann gibt es halt wieder Kradmelder!
    Ich war lange Jahre im Kat-Schutz dabei, mit solider Ausbildung (z.B Funkdisziplin) lässt sich einiges machen.
    Was hightech bei den Fahrzeugen betrifft – Wo bleibt der massive Widerstand, jetzt schon!! Ich sage nur Elektrofahrzeuge, die Fahrzeuge stehen im tiefsten Dreck, sind lange draussen. Ähm… statt tanken Batterrien wechseln? Das am Ende nur durch speziell geschulten Personen gemacht werden darf unter Beachtung irrsinniger Auflagen?
    Ich plädiere schon seit längerem dafür , egal welche Farbe unsere Einsatzfahrzeuge haben, dass wir von der Basis mal GEMEINSAM sagen wie es zu laufen hat.

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  7. Auch dürfte es für ALLE Einsatzfahrzeug nur Allrad Fahrgestelle geben. Wir fahren nicht nur bei schönem Wetter oder nur auf Straße. Es sollten die Bundesgesetze/Ländergesetze geändert werden das Ehrenamtliche Rettungskräfte von den Arbeitgeber freigestellt werden müssen (z.B. min. 2 Wochen pro Jahr) Die Kosten müssten die Länder oder Städte, Kommunen tragen (z.B. Hessen übernimmt die Kosten für den Ehrenamtlichen) aber nicht jeder Arbeitgeber erlaubt es.
    Es kann nicht sein das Ehrenamtliche Ihren Urlaub dafür nehmen müssen. So ging es mir das ich 14 Tage Urlaub für meinen Feuerwehrlehrgang nehmen musste. Auch die Ausstattung der Fahrzeuge wie auch in den Anderen Kommentaren schon beschrieben muss verbessert werden. Flächendeckende bessere Ausstattung des Katastrophenschutz. Auch sollte man bei den neuen Katastrophenschutz-Konzepten auf Erfahrenes Fachpersonal zurückgreifen und nicht das einfach Politiker irgend etwas entscheiden.

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  8. Das kostet alles Geld, was keiner ausgeben will. Hoffentlich verschwindet das Papier nicht wieder in irgendeiner Schublade

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  9. Genau das…. Aber die Politik und deren untergeordneten Stellen sind oft nicht gewillt oder in der Lage den Ehrenamtlichen zu helfen

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  10. Eine kleine Anmerkung, Nachwuchskräfte können die großen Fahrzeuge durchaus fahren, dazu muss die Gemeinde nur den Führerschein C spendieren. Für C1 gibt es sogar die Alternative Feuerwehrführerschein (egal wie man dazu steht).

    Ansonsten stimme ich aber Deinem Kommentar zu. Viel zu Viel was besprochen und erschreckender Weise plötzlich in einem Arbeitskreis festgestellt wird. Umsetzung der Erkenntnisse dauert dann aber, dank Bestandschutz, auch wieder ewig.

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  11. Na bravo, das ist alles sehr freundlich formuliert. Es war ein völliges Versagen insbesondere der Politik, welche den Bereich des Katastrophenschutzes völlig vernachlässigt hat, zu Gunsten viel “wichtigerer” Themen. Hinzu kommen wenig weitsichtige Entscheidungen wie die Abschaffung des flächendeckenden Sirenenwarnsystems und der Warn-Leitstellen, Die Beschränkung des Führerscheins auf 3,5t, was dazu führte das viele alte, aber robuste Katastrophenschutzfahrzeuge nicht mehr bewegt werden können, da Nachwuchs sie nicht mehr fahren dürfen, sowie die generell mangelnde Unterstützung und Wertschätzung der Ehrenämter.

    Am Rande bemerkt ist die “Digitalisierung” auch nicht immer von Vorteil. Kommunikationstechnisch sind wir heute feuergefährlich wie ein Weihnachtsbaum im März. Mit Tripple-Play fällt Internet, Telefonie und Rundfunk gleichzeitig aus. Im BOS-Bereich ist die Technik nicht lastfähig, worauf Experten schon lange hingewiesen haben. Analoge Stationen und Relais könnten schnell, preiswert und robust eingerichtet und betrieben werden und gewähren im Notfall eben zumindestens eine Basiskommunikation.

    Zubguter letzt gibt es kaum noch Personen die fähig sind, Krisenstäbe und Großschadensereignisse zu managen. Insbesondere die politischen Ebenen haben hier ebenfalls völlig versagt. Leider habe ich keine Hoffnung, dass sich daran etwas bessern wird. Das ganze Thema steht doch schon nicht mehr auf der Tagesordnung.

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  12. Ist alles richtig. Nur wird sich in naher Zukuft die Frage stellen, ob dies auch in entsprechend kurzer Zeit umgesetzt wird, also mittelfristig! Die letzten 25 Jahre waren von viel Untätigkeit geprägt!

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