Experten-Interview

Posttraumatische Belastungsstörung bei der Feuerwehr: Symptome und Vorbeugung

Zürich (Schweiz) – Durchschnittlich jede 10. Feuerwehrkraft erkrankt im Laufe ihres Lebens an einer Posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS). In einem Interview erklärt uns Prof. Dr. Ulrike Ehlert die Symptome von PTBS und wie Einsatzkräfte vorbeugen können. Frau Professor Ehlert ist Leiterin der Arbeitsgruppe “Klinische Psychologie und Psychotherapie” des Psychologischen Instituts der Universität Zürich und beschäftigt sich seit mehreren Jahren mit stressabhängigen Erkrankungen.

Nach dem Einsatz kommt die Reflexion. Emotional belastende Situationen können zu einer Posttraumatischen Belastungsstörung führen. Symbolfoto: M. Schulze (Bild: Kay Herschelmann, KAY HERSCHELMANN)

FM: Frau Professor Ehlert, woran ist eine Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) überhaupt zu erkennen?

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Prof. Ehlert: Das ist schwierig zu sagen, denn es gibt eine Vielzahl von Merkmalen. Die wichtigsten Symptome sind unter anderem eine generelle schlechte emotionale Kontrolle, Schlaflosigkeit, Konzentrationsschwäche, Gereiztheit und so genanntes “emotional numbing” – also das Abstumpfen gegenüber emotionalen freudigen oder traurigen Ereignissen.

Außerdem können Flashbacks auftreten. Dabei empfinden Betroffene schlagartig bestimmte Bilder oder Gerüche, die mit dem traumatischen Ereignis in Verbindung stehen. Feuerwehrleute berichteten mir, dass der Geruch von Grillfleisch eine sehr lebhafte Erinnerung an einen belastenden Brandeinsatz auslösen kann.

Personen, die einer betroffenen Person nahe stehen, fällt zudem meistens auf, dass diese nicht richtig ansprechbar ist.

FM: Was sind die Hauptauslöser für eine PTBS?

Prof. Ehlert: Auslöser sind in der Regel außergewöhnliche Situationen, die mit einer subjektiv eingeschätzten Lebensbedrohung einhergehen. Gerade Einsätze mit Kindern lassen schon mal gestandene Männer in die Knie gehen.

Mittlerweile weiß man auch, dass genetische Faktoren eine Rolle spielen. Einige Menschen können besser mit traumatischen Ereignissen umgehen als andere.

FM: Welche Therapiemöglichkeiten sollten bei der Diagnose PTBS in Erwägung gezogen werden?

Prof. Ehlert: Es gibt mehrere Ansätze. Man sollte allerdings darauf achten, dass es sich um ein zugelassenes Verfahren mit nachgewiesener Therapiewirkung handelt. Generell geht es darum, Inhalte zu verbalisieren. Die belastende Erfahrung wird besprochen und vom Betroffenen “neu bewertet”. Dadurch bekommt der Patient eine veränderte, weniger belastende Einstellung gegenüber der Erfahrung

FM: Welche Prognosen gibt es nach einer Therapie?

Prof. Ehlert: Bei erfolgreich Behandelten ist in der Regel das Risiko, erneut an einer PTBS zu erkranken, geringer. Das liegt daran, dass die Personen nach einer Therapie wissen, wie sie mit traumatisierenden Situationen umgehen sollen. Wieder “funktionsfähig” zu sein bedeutet allerdings nicht, dass die Person dann auch “geheilt” ist. Die Lebensqualität kann oft noch Jahre nach der Behandlung beeinträchtigt sein, selbst wenn der Betroffene wieder regulär arbeitet. Wie schnell die Heilung vonstattengeht, ist sehr individuell.

Dienst- und Berufsunfähigkeit: Spezialfall Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)

Bei etwa jedem zehnten Feuerwehrmann im Laufe seines Lebens eine PTBS festgestellt.

In unseren Servicebeiträgen “Wenn die Seele brennt” und “Berufsunfähig nach Einsatz” klärt unsere Rechtsexpertin auf, was es im Falle der Dienst- oder Berufsunfähigkeit bei PTBS zu beachten gilt.

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FM: Was können Einsatzkräfte sowie Wehrführer beziehungsweise Leiter einer Feuerwehr tun, um einer PTBS vorzubeugen?

Prof. Ehlert: Am wichtigsten ist es erstmal, dass das Thema überhaupt angesprochen wird. Jedem Feuerwehrmann und jeder Feuerwehrfrau sollte bewusst gemacht werden, dass PTBS ein nicht unwahrscheinliches Berufsrisiko ist. Es sollte in jeder Feuerwehr Lehrgänge über das Thema geben.

Während eines Einsatzes muss der Einsatzleiter emotional belastende Situationen erkennen und darauf achten, dass Kameraden ihnen nicht zu lange ausgesetzt sind. Ist die Kapazität vorhanden, sollten die Einsatzkräfte regelmäßig durchgetauscht werden.

Gleichzeitig muss der Einsatzleiter Wertschätzung und Anteilnahme gegenüber den Kräften zeigen, die sich einer potentiell traumatisierenden Situation gegenüberstellen. Er sollte nach dem Einsatz fragen, wie die Situation für den Betroffenen war, stets Bereitschaft zeigen, den Einsatz zu besprechen und beim Verdacht eines psychischen Traumas professionelle Hilfe anbieten.

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Führungspersonen einer Feuerwehr sollten außerdem stets einen Ansprechpartner zur Hand haben, der im Notfall professionelle psychologische Hilfe leisten kann. Das häufige Durchspielen von Einsatzsituationen hingegen gibt den Einsatzkräften zwar auf technischer Ebene im Einsatzfall eine Sicherheit, die emotionale Ebene wird dabei aber kaum berührt.

Anmerkung der Redaktion: Das Interview führten wir 2017 und es erschien im Feuerwehr-Magazin 7/2017. Die Thematik ist aber immer noch aktuell, weswegen wir es hier in voller Länge erneut aufgreifen.

Kommentare zu diesem Artikel

  1. Interessanter und wichtiger Ansatz, der in Zeiten wie heute, wo psychisch belastende Bilder durch Rettungsrobotik noch schneller, noch klarer und noch bedrückender verfügbar gemacht werden. Steuerer von Rettungsrobotik und Bildauswertende sind zwar außerhalb des eigentlichen Geschehens, werden aber u.U. Bildern ausgesetzt, die man sonst oder in der Art und Weise nicht zu Gesicht bekam. Gleiches gilt natürlich auch für alle Anderen, die diese Bilder im Rahmen der Einsatzbewältigung anschauen.

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  2. Das ist ein sehr heikles Thema wenn ein generelles Verständnis für solche Belastungen nicht erzeugt wird. Im Rahmen der Erstausbildung wurde das leider nur kurz gestreift. Inzwischen hatten wir die “Nachsorgeeinheit” bei einem Dienstabend zu Gast, um da mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Auch ist die Wehrführung sehr sensibilisiert und fragt bei den potenziell betroffenen Kameraden auch nach einigen Tagen persönlich nach, und bietet ein Gesprächsrahmen an. Mit der ersten Todesopfer nach VU hatte ich erheblich mehr zu “kämpfen” und war damals auch nicht wirklich gut “abgeholt” worden. Mit der Erfahrung und der Sanitätsausbildung konnte ich später anderen Kameraden ein guter Zuhörer sein und anscheinend bei der Verarbeitung helfen.

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  3. Es ist sehr gut, das jetzt darauf eingegangen wird.
    Die älteren Feuerwehrkamerade wurden damit allein gelassen.
    Gerade bei einem Bahnunfall (Suizid) oder schwere Autounfällen hieß es sonst: abarbeiten und dann allein verarbeiten. Die Bilder bleiben aber.

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